Achtsamkeit

„Achtsamkeit“ ist zum neuen Schlüsselwort in der Psychotherapie geworden. Überraschend greift diese nicht auf die europäische Tradition der Selbsterziehung zurück, sondern nutzt Anregungen aus der buddhistischen Meditationspraxis. Die heilsamen Effekte achtsamen Verhaltens werden jetzt auch bei der Behandlung psychischer und psychosomatischer Krankheiten geschätzt und breit eingesetzt. Achtsamer zu werden ist in körperverhaltenstherapeutischer Sicht nicht eine Übung, die zu einem bestimmten Zweck (z.B. Entspannung) eingesetzt wird, sondern eine grundlegende, essentielle Funktionsmöglichkeit jedes Menschen. Neben Achtsamkeit zählen auch beispielsweise die Fähigkeiten des Menschen zu Kontakt und Beziehung, zu unterscheiden und zu vergleichen zu grundlegenden Verhaltensmöglichkeiten, die jedem gesunden Menschen lebenslang zur Verfügung stehen. Achtsamkeit hilft zur Integration menschlicher Empfindungen, Äußerungen und Verhaltensmöglichkeiten. Kognitive Umstrukturierung oder die Verarbeitung emotionaler Empfindungen können vom Einbezug achtsamen Verhaltens in die Therapie profitieren.

Das Diagnosespektrum für den Einbezug von Achtsamkeit ist breit. Patienten mit Ängsten, Depressionen, Zwängen, somatoformen Störungen, chronifizierten Schmerzen, Borderline-Störung - die Liste der Indikationen umfasst das gesamte Patientengut der psychotherapeutischen Praxis und psychosomatischer Kliniken. Achtsamkeitsbasierte Behandlungsansätze haben einen festen Platz in der Behandlung so unterschiedlicher Störungsbilder gefunden, wie zur Stressreduktion, zur Rückfallprophylaxe affektiver Störungen, im Rahmen der Dialektischen Therapie von Borderlinestörungen und bei der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen (Heidenreich & Michalak 2003). Dies legt die Vermutung nahe, dass wir es mit einem grundsätzlichen Therapieprinzip zu tun haben.

Entspannung

Entspannungsverfahren sind empirisch entwickelte, theoretisch und praktisch gut begründete Techniken, die in der Patientenversorgung und Therapeutenausbildung einen festen Platz einnehmen. Klassische Entspannungsverfahren, wie die Progressive Relaxation nach Jacobson (Jacobson 1956, 1996) oder die Progressive Muskelrelaxation (Bernstein & Borkovec 1995) sind durch das Erlernen willkürlicher Entspannung in der Lage, ein optimaleres Körperverhalten vorzubereiten (Klinkenberg 1996, Gierra & Klinkenberg 2005).

Körperverhaltenstherapeutische Unterweisungen zielen jedoch im Unterschied zu den bekannten Entspannungsverfahren auf eine bewusste Kontaktnahme mit den unmittelbaren Erfordernissen, etwa den Zug von Schwerkraft, die Einwirkung der eigenen Körpermasse auf den Boden (Schwerpunkt) und die Nutzung des Bodens. Die daraus resultierende Entspannung besteht im Lassen unnötiger Arbeit. Sie resultiert als „physiologische Entspannung"aus der lebendigen Beziehung zur jeweiligen Aufgabe und ist dadurch für verhaltenstherapeutische Arbeit von höchstem Wert.

Spannungsregulationsfähigkeit als Ressource

Entspannungsverfahren kommt ein hoher Nutzen für die Ressourcenaktivierung von Patienten zu. Sie stellen Bestandteile verschiedener psychotherapeutischer Interventionen dar. Die Zielsetzungen ihrer Anwendung liegen in der Fähigkeit zur Spannungsregulation und Modulation innerer Erregung, in der bewußten Lenkung von Wahrnehmungen, dem willkürlichen Anstoßen zunehmend konditioniert ablaufender, gewünschter Körperreaktionen und einer Verbesserung internaler Kontrollüberzeugungen, von Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Selbstwertgefühl. Entspannungsverfahren stellen somit ein effektives und wichtiges Modul psychosomatischer Rehabilitation "zwischen Somato- und Psychotherapie" dar.

Entspannung aus körperverhaltenstherapeutischer Sicht

Fast alle psychosomatischen Patienten leiden unter einem Ungleichgewicht körperlicher Spannung. Bei genauer Untersuchung findet sich zumeist ein Zuviel an Muskelarbeit in bestimmten Körperbereichen neben einem zu schlaffen Zustand in anderen. Angespannte Muskulatur ist für den Therapeuten leicht sichtbar. Aus körperverhaltenstherapeutischer Sicht sind weder Anspannung noch Entspannung per se ein wünschenswerter Dauerzustand. Die durch Entspannung erzeugte Abnahme des Muskeltonus, Herz-Kreislauf-Veränderungen (z.B. Pulsverlangsamung, Blutdrucksenkung), eine Verlangsamung der Atmung und Veränderungen der subjektiven wie objektivierbaren Gehirnaktivität sind nicht mit den Anforderungen des realen Lebens vereinbar. Entspannung als absolute Sollgröße der Muskulatur ist deshalb physiologisch unsinnig. Vielmehr erfordert gesundes (Körper-) Verhalten die Fähigkeit zu autonomer Spannungsregulation, Entspannung bis auf das von der anstehenden Aufgabe geforderte notwendige Maß, Anspannung so viel, wie es erforderlich und gewollt ist. Der Schlüssel für das erforderliche Maß einer Spannung kann nicht intellektuell, sondern nur in erlebtem Kontakt mit der jeweiligen Aufgabe gefunden werden.

Die meisten Menschen verfügen über eine solche ungestörte Kontaktfähigkeit allenfalls nur im Kindesalter und neigen später dazu, im Alltag ständig mehr als notwendig zu tun. Ihr muskuläres und inneres Verhalten besteht dann überwiegend aus einem Wechsel zwischen Phasen hoher Anspannung und einem Zuviel an Arbeit mit Phasen des Nicht-mehr-Könnens, von Erschöpfung und Kollaps. Physiologisch wünschenswert ist jedoch ein „Wechsel der Energien, der auf jeden Reiz reagiert, der zunehmen, abnehmen kann nach der Beanspruchung" (Gindler 1926). Voraussetzung ist dazu aus körperverhaltenstherapeutischer Sicht die Erarbeitung eines unmittelbaren Kontakterlebens, eines „in Beziehungkommens" mit den unmittelbaren Erfordernissen, damit körperliche Reaktionsweisen überhaupt wieder ins Spiel kommen können. Entspannung ist dabei vor allem aus zwei Gründen von Wert: Erstens kann im gelasseneren Zustand eher unbewusste Muskelarbeit unterlassen werden, die einer komplexen, teilweise reflektorischen organischen Körperorganisation entgegenwirkt. Zweitens ist die Empfindung des wirklichen Zugs der Schwerkraft an der Masse des Körpers erst möglich, wenn sie nicht durch ein Zuviel an Arbeit verdeckt wird. Entspannung als Lassen unnötiger muskulärer Aktivität ist somit eine Voraussetzung, damit Skelett und Boden physikalisch Last übernehmen können, die sonst häufig ohne Rücksicht auf schmerzhafte Folgen und Verlust von Lebensqualität von uns mittels Muskelarbeit „getragen“ wird.

Wirksamkeit von Entspannungsverfahren

Zahlreiche Studien untersuchen multimodale Therapieansätze, die neben psychotherapeutischen Interventionen im engeren Sinne auch das Erlernen von Entspannungsverfahren mit einschließen. Metaanalysen zeigen deutliche positive Effekte solcher Kombinationen für die Behandlung von Angsterkrankungen (Eppley et al. 1989, Clum et al. 1993), nicht organische Schlafstörungen (Morin et al. 1994, Murtagh et al. 1995), chronische Schmerzen (Malone et al. 1988, Carrol & Seers 1998, Lübbert et al. 2001, Devine 2003) oder chronisch-komplexen Tinnitus (Anderson & Lyttkens 1999). Entspannungs- und Biofeedback-Verfahren zur Migräneprophylaxe erwiesen sich als signifikant wirkungsvoller gegenüber Placebo und gleich effektiv wie pharmakologische Behandlungen (Holroyd & Penzien 1990). Für eher somatische Diagnosen zeigen Entspannungsverfahren positivenfalls eher schwache Effektstärken (Hymann et al. 1989), wobei metaanalytische Einschätzungen nahelegen, daß sie zu psychologischen Ansätzen synergistisch wirken, also eher Depression, Angst, Ärgerbereitschaft und Selbstwirksamkeitsüberzeugung verbessern (Nunes et al. 1987, Devine 1996, Seers & Carroll 1998, Huntley & Ernst 2000, Ernst et al. 2002, Huntley et al. 2002, Astin et al. 2002, Ramaratnam et al. 2003). Andererseits lassen sich jedoch auch konsistente und teils signifikante Wirkungen von Entspannung auf somatische Indikatoren, wie z.B. auf die Immunmodulation (Rood et al.1993) oder den Blutdruck (z.B. McCubbin et al. 1996) feststellen.        

Zu den in der psychosomatischen Rehabilitation etablierten Entspannungsverfahren zählen die Progressive Muskelentspannung, das Autogene Training, die Hypnose und Biofeedback. Der empirische Nachweis ihres klinischen Nutzens nimmt in der genannten Reihenfolge gemessen an der Zahl der veröffentlichten Studien ab, darf aber insgesamt als gut belegt gelten, und zwar sowohl im Rahmen von Grundlagen- wie Anwendungsforschung sowie teilweise mit hoher Evidenz (entsprechend der Klassifikation der Evidenzstufen nach Rudolf und Eich 1999), d.h. in adäquat randomisierten und kontrollierten Studien. Allerdings sind diese Studien trotz ihrer relativ großen Gesamtzahl angesichts der Methodenvielfalt und möglichen Variabilität in der Anwendung der Verfahren und ihrer Kontexte sowie bei der Vielzahl der zu überprüfenden Effekte nur bedingt vergleichbar.

Jacobson-Entspannung

Die Progressive Relaxation nach Edmund Jacobson (Jacobson 1938) kann als das Entspannungsverfahren mit den zuverlässigsten Wirksamkeitsnachweisen angesehen werden (Stetter 1998). Meyer et al. (1991) berichten in ihrem Forschungsgutachten von 63, Grawe et al. (1994) von 66 kontrollierten Studien mit über 3000 Patienten. Hamm referiert 1993 für die zurückliegenden zehn Jahre über 230 Publikationen nur zu diesem Verfahren. Widersprüchliche empirische Ergebnisse begründet er durch die hohe prozedurale Variabilität der untersuchten Interventionen (z.B. Einfluß suggestiver Elemente, Stärke, Art, Abfolge von zu übenden Muskelgruppe etc.), durch die sich zwangsläufig unterschiedliche physiologische Effekte ergeben.

Die unterschiedlichen Anwendungsformen erklären sich durch die Rezeptionsgeschichte der Progressiven Relaxation, die erst ab Ende der 50er Jahre in erheblich verkürzter und veränderter Form und zunächst nur als Teil eines verhaltenstherapeutischen Verfahrens Eingang in die psychotherapeutische Praxis fand (Klinkenberg 1996). Hieraus resultiert die Forderung, in Forschung und Anwendung auch begrifflich zwischen der "Progressiven Relaxation" in der Originalversion von Jacobson und den post-Jacobson'schen Varianten einer "Progressiven Muskelrelaxation" z.B. nach Bernstein und Borkovec (1975, 7. Aufl. 1995) zu unterscheiden. In dem Originalverfahren geht es darum, sich körperlich "unter allen Lebensbedingungen angemessen" verhalten zu können. Die Zahl der Instruktionssitzungen und die Gesamtzeit der Einübephase sind erheblich länger, die Zahl der willentlich zu entspannenden Muskelgruppen pro Sitzung erheblich geringer als in den späteren Varianten. Anspannung dient in der Originalversion ausdrücklich nur dazu, dem Patienten zu zeigen, was er "nicht" tun sollte. Empirische Befunde besagen dementsprechend, dass nur persönlich unterrichtete, ausreichend geübte Patienten in der Lage sind, auch über die Trainingssitzungen hinaus stabile physiologische Veränderungen und eine generelle Reduktion der Sympathikuserregung zu induzieren. Selbst mittels der Kurzformen lassen sich jedoch eine Reduktion der EMG-Aktivität, der Herz- und Atemfrequenz und des Blutdrucks, eine geringere Anspannung bei emotionaler Belastung und eine größere subjektive und objektive Schmerztoleranz nachweisen. In klinischen Effektivitätsstudien erwiesen sich diese Verfahren als effektiv bei Angststörungen, bei Schmerzen, insbesondere Spannungskopfschmerzen, bei der Behandlung der essentiellen Hypertonie und Schlafstörungen (Überblick bei Hamm 1993).

Praktische Umsetzung einer Unterrichtung in Anlehnung an Jacobson´s Originalversion

Gegen eine Rückbesinnung auf Jacobsons Verfahren in der ursprünglichen Form könnte vorgebracht werden, dass heute kein Arzt und Therapeut über so viel Zeit verfügen kann, wie sie Jacobson zur Unterrichtung seiner Patienten aufbrachte. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass sich die Originalversion des Verfahrens in kürzerer Zeit vermitteln lässt, wenn nur Klarheit in der Sache besteht. Ein Problem besteht jedoch darin, dass in den meisten heute üblichen PMR-Varianten regelmäßig vor einer Entspannung angespannt wird, was Jacobson selbst als “armselige Praxis” (“poor practice”) bezeichnete. Die einzige rationale Grundlage eines Anspannens liegt darin, dass ein bereits völlig entspannter Muskel nicht noch selbständig weiter entspannen kann. Zum Erleben einer Tiefenentspannung ist ständiges Anspannen sogar hinderlich. Der praktische Ablauf einer Folge von sechs Unterrichtsstunden, bei denen immer weniger “angespannt” wird und ein Übergang zur Entspannung unter Alltagsbedingungen unterrichtet wird, findet sich im Nachwort zu Jacobson (2011).

Literatur

Bernstein DA, Borkovec TD. (1995) Entspannungs-Training. Handbuch der "progressiven Muskelentspannung" nach Jacobson. 7. Aufl. München: Pfeiffer.

Derra, C. (2007) Progressive Relaxation. Grundlagen und Praxis für Ärzte und Therapeuten. Köln: Dt. Ärzte-Verlag.

Hamm A. (1993)  Progressive Muskelentspannung. In: Vaitl D, Petermann F (Hrsg). Handbuch der Entspannungsverfahren. Band 1, Weinheim: PVU; 243-271.

Jacobson E. (1938) Progressive Relaxation. A physical and clinical investigation of muscular states and their significance in psychology and medical practice. 2. Ed. Chicago, London: The University of Chicago Press.

Jacobson, E. (1956) Progressive Relaxation. Chicago-London: University Chicago Press, 7th Ed.

Jacobson, E. (2011) Entspannung als Therapie. Progressive Relaxation in Theorie und Praxis. Mit einem Vorwort und Nachwort von Norbert Klinkenberg. 7. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotty.

Klinkenberg N. (1996) „So that you can learn really to run yourself properly relaxed under all conditions“ – Die Progressive Muskelrelaxation als pädagogisches Körperverfahren, unvereinbare Reaktion, Entspannungskonditionierung oder indikationsspezifisches Verfahren in der Verhaltenstherapie. Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis 28, 183-90.

Klinkenberg, N. (2003) Woher kommen die Probleme bei der Progressiven Muskelentspannung (PMR)? In: Tinnitus-Forum, Zeitschrift der Deutschen Tinnitus-Liga e.V. (DTL), Nr. 1, 16-18.

Klinkenberg, N. (2005) Körperorientierte Verfahren. In: Köllner,V. Broda, M. (Hrsg.) Praktische Verhaltensmedizin, Stuttgart: Thieme, 63-68.

Petermann F & Vaitl D(Hrsg) (2009) Entspannungsverfahren. Das Praxishandbuch 4. Aufl. Weinheim: Beltz/PVU. 

Feldenkrais-Methode

Die nach dem Physiker Moshé Feldenkrais benannte Methode ermöglicht es Patienten, auf leichte und angenehme Weise ihre Bewegungsmöglichkeiten zu verbessern und darüber hinaus Lern- und Entwicklungsschritte zu machen.

In der körperverhaltenstherapeutischen Arbeit hat sich die Feldenkrais-Methode bewährt zur Verbesserung von Bewegungs- und Körperverhalten, als Erfahrungsraum im Rahmen von Psychotherapie sowie als erster Schritt in einem persönlichen Selbsterziehungsprozess.

Feldenkraispädagogik in der Körperverhaltenstherapie

Therapeuten, die Körperverhalten in ihre Arbeit einbeziehen, nehmen Körperlichkeit als eine Variable des Gesamtzustandes ihres Patienten wahr. In der Regel werden körperliche Verhaltensmuster gewohnheitsmäßig mit emotionalen und kognitiven Zuständen (Wachheit, Erregtheit, Schlaffheit usw.) verknüpft. Emotionalen und kognitiven Veränderungen entsprechen veränderte körperliche Verhaltensmuster und umgekehrt. Mit der Feldenkrais-Methode verfügen wir über ein Werkzeug, das gewohnheitsmäßige Muster des Körperverhaltens auf unterschiedliche Weisen verändern kann:

  1. als unmittelbar körperliche Beschwerden lindernde und das Körpergefühl angenehm verbessernde Maßnahme,

  2. durch Anwendung der in der Feldenkrais-Methode erprobten Strategien zur Verbesserung von Körperverhalten und

  3. als erster Schritt eines Selbsterziehungsprozesses.

Organische Lernfortschritte finden nur unter bestimmten Bedingungen statt. Dazu gehört die Vermeidung von Zielfixierung. Zu starke Zielorientierung und bewusste Anstrengung erweisen sich bei der Überwindung von Behinderungen in aller Regel als kontraproduktiv. Dieses Problem muss bei körperlichen Behinderungen geradezu umgangen werden. Lernen findet nämlich nur statt, wenn das menschliche Bedürfnis, sich leicht und angenehm zu bewegen, befriedigt wird und wenn Anstrengung und Schmerzen vermieden werden. Eine grundlegende Strategie der Feldenkrais-Methode ist es deshalb, „Problemzonen“, schmerzhafte Gliedmaßen oder bewegungsunfähige Muskeln, nie „direkt“ zu behandeln, sondern durch Schaffung einer neuen funktionellen Beziehung zu integrieren. So können Menschen mit Bewegungsdefiziten zur spielerischen Erkundung von Bewegungsvariationen angeleitet werden und Bewegungserfahrungen machen, die ihnen bislang verschlossen waren.
Das Vorgehen in zahlreichen Feldenkrais-Lektionen kann beschrieben werden als:

  1. systematische Analyse von Bewegungsmustern und ihres inneren und äußeren Kontextes,

  2. bewusste Störung dieser Gewohnheitsmuster und

  3. anschließende Neuintegration der Musteranteile.

So kann zum Beispiel bei Klienten mit chronischen Schmerzen der Umstand genutzt werden, dass eine schmerzhaft eingeschränkte oder gar unmögliche Bewegung in einem veränderten Kontext möglich ist oder sogar schmerzfrei ausgeführt werden kann.

Andere Strategien zielen auf physiologische Veränderungen durch selektive Aufmerksamkeit ab. So können bei einer Erforschung von Bewegungen des Kopfes oder Rumpfes allein durch bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit auf eine Körperhälfte auf dieser Seite Veränderungen des Erlebens und objektivierbare Veränderungen der Körperorganisation bewirkt werden, obwohl beide Körperhälften motorisch das Gleiche tun.
Regelmäßig wiederkehrende Pausen haben als „physische Grundlage der Bewusstheit“ einen besonderen Stellenwert in der Feldenkrais-Pädagogik. Lernen wird erst durch den besonderen Rhythmus der Pausen ermöglicht.
Ein Hauptmerkmal des Bewegungsunterrichts nach der Feldenkrais-Methode besteht im Variieren der Bewegungsmöglichkeiten und im wechselnden Aufmerksamkeitsfokus auf unterschiedlichste Aspekte der Bewegungsplanung, -gestaltung und -wahrnehmung. Das bloße Wiederholen einer Bewegung, wie es in der Gymnastik, beim Fitness-Training und im Sportunterricht noch allgemein üblich ist, führt nicht zu entsprechenden Lernfortschritten.

Regt man Patienten hingegen an, Bewegungen langsam und so klein auszuführen, dass sie von außen kaum noch wahrnehmbar sind, können sie erfahren, dass Informationsqualität und -quantität dabei zunehmen. Diese Strategie der Feldenkrais-Arbeit trägt der menschlichen Wahrnehmungspsychologie ebenso Rechnung wie der Tatsache, dass die funktionelle Wirkung von Vorstellung einer Bewegung der Wirkung bewusst ausgeführter Bewegung vergleichbar ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die Vorstellung der Selbstwahrnehmung einer Bewegung entspricht. Diese Strategie hat auch Eingang in die mentalen Trainingsformen von Sportlern gefunden und eignet sich besonders für Patienten mit schmerzhaften Bewegungseinschränkungen.

Moshé Feldenkrais (1904 - 1984)

Der junge Moshé Feldenkrais kam als jüdischer Siedler in Palästina früh in Kontakt mit Selbstverteidigungskunst. Nach Studium und Promotion in Paris arbeitete er am Atomforschungslabor des 1938 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Ehepaars Joliot-Curie. In dieser Zeit lernte er den damals noch neuartigen Judo-Sport kennen, erwarb als einer der ersten Europäer den schwarzen Judo-Gürtel und gründete den ersten französischen Judo-Club. Aufgrund persönlicher Bewegungsprobleme interessierte sich Feldenkrais darüber hinaus mit wissenschaftlicher Akribie für die Funktionsweise und die Neurophysiologie des menschlichen Körpers. 1949 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel Körper und reifes Verhalten. Eine Studie über Angst, Sexualität, Schwerkraft und Lernen, in dem er die bewusste Untersuchung eigener Bewegungen als ersten Schritt zu einer differenzierteren Selbstwahrnehmung vorschlug. In der Folgezeit kam Feldenkrais in Kontakt mit Heinrich Jacoby (1889 - 1964) und Elsa Gindler (1885 - 1961), die schon in den zwanziger Jahren des letzen Jahrhunderts einen Perspektivwechsel von der gymnastischen zur verhaltensbezogenen Körperarbeit vollzogen hatten. Dieser Kontakt beeinflusste die Ausgestaltung der von Feldenkrais entwickelten Methode wesentlich. Nach ersten, teilweise spektakulären Erfolgen mit Patienten widmete sich Feldenkrais seit den 1950er Jahren in Israel der Entwicklung seiner körperorientierten Lernmethode und unterrichtete eine kleine Anzahl von Schülern. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er ab den 1970er Jahren vor allem durch Vortragsreisen und Seminare in den Vereinigten Staaten bekannt. Gleichzeitig begann ein intensiver Gedankenaustausch mit führenden Anthropologen, Neurophysiologen, Erkenntnistheoretikern und Psychotherapeuten. Angebote, einen Lehrstuhl zu anzunehmen, schlug Feldenkrais aus. Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre unterrichtete Feldenkrais in den Vereinigten Staaten einen größeren Schülerkreis, aus dem sich nach seinem Tod im Jahre 1984 das Gros der Weitervermittler seiner Methode rekrutierte. 

Feldenkrais-Gruppenarbeit - „Bewusstheit durch Bewegung“

Die menschliche Lernentwicklung ist vor allem durch sensorische Wahrnehmung und motorisches Ausprobieren geprägt. Der Physiker Feldenkrais versuchte mit seiner Methode, optimierte Bedingungen eines solchen „Bewegungslernens“ auch für Erwachsene zu schaffen. Seine Form des Gruppenunterrichts nannte er „Bewusstheit durch Bewegung“, womit er die Möglichkeit ausdrückte, dem eigenen Körper bei Lernvorgängen „zuzuschauen“, das allen Menschen eigene Bewegungslernen zu erleben, seine Gesetzmäßigkeiten zu erforschen und dadurch die Eigenwahrnehmung und das „Ich-Bild“ zu verbessern.

In der Gruppenarbeit beschäftigt sich der Schüler damit, einfache, elementare Bewegungen gedanklich zu entwerfen und ihrer Realisierung zu folgen. Er wird in die Lage versetzt, die kinästhetischen Empfindungen, die vor der Ausführung einer Handlung entstehen, bewusst wahrzunehmen und das mental empfundene körperliche Bewegungsbild als effektive Handlung auszuführen. In der Bewegung kann er bewusst wahrnehmen, mit welcher Qualität dies geschieht, das heißt, ob die Bewegung dem gedanklichen Entwurf im Raum und in der kinästhetischen Empfindung entspricht, ob sich die Bewegungsorganisation verbessert hat (zum Beispiel genauer, zweckmäßiger, organischer geworden ist) und ob eine Qualitätsverbesserung der Handlung (leichter, angenehmer, zweckmäßiger) erreicht wurde. Mit anderen Worten: Die bewusste Tätigkeit des Gehirns wird darin geschult, die zumeist unbewussten Aktivitäten des Nervensystems, die jedoch einer Wahrnehmung zugänglich sind, mit Bewusstheit zu erleben. Gefördert wird der dadurch angeregte Lernprozess durch eine Abstinenz von direktiver pädagogischer Beeinflussung sowie durch den Verzicht auf Regeln, auf dogmatische Festlegungen von „richtig“ oder „falsch“ sowie auf behindernde Zielfixierungen. Eine Feldenkrais-Lektion beginnt meist mit der genauen Feststellung einer später als Referenz dienenden „Ausgangslage“. Danach macht der Gruppenleiter eher langsam, klein und angenehm auszuführende Bewegungsvorschläge, die nicht im Sinne einer gymnastischen Übung wiederholt, sondern unter Beachtung vieler Pausen in stets neuen Variationen erforscht werden sollen. Die Lektionen sind so angelegt, dass sie auf vorhersagbare Weise Verbesserungen des Selbstbildes und des objektiv beobachtbaren Bewegungs- und Gesamtverhaltens herbeiführen.

Feldenkrais-Einzellektion - „Funktionale Integration“

In der „Funktionale Integration“ genannten Einzelstunde folgt der Feldenkrais-Lehrer seinen Empfindungen von der Bewegungsorganisation des Klienten. Durch Berührungen und Bewegungen tritt er in einen überwiegend nonverbalen Dialog mit dessen Verhaltensweisen und Empfindungen: „Nervensystem kommuniziert mit Nervensystem.“ Die Lektionen finden häufig im Liegen statt, können aber auch im Sitzen, im Stehen, Gehen oder an einem Arbeitsplatz (zum Beispiel am Tisch, am Computer, an einem Musikinstrument o. ä.) unterrichtet werden. Zur bequemen Lagerung oder um spezifische Reize für die Bewegungsorganisation zu geben, werden unterschiedliche Materialien wie harte oder weiche Rollen, Kissen oder Brettchen eingesetzt. Der Klient bleibt dabei stets bekleidet. So genannte „Interventionen“ - Berührung und Bewegung des Schülers durch den Lehrer - sind nicht manipulativ, sondern haben eher einladenden Charakter. Auch die funktionale Integration ist nicht direktiv und vermeidet „Korrekturen“ oder Modellvorgaben. Es ist immer die Person des Klienten, die angibt, welche Entwicklungen notwendig sind und auf welche Weise und in welchem Tempo sie möglich gemacht werden können. Pointiert ausgedrückt leiht der Unterrichtende dem Schüler seine Hände, damit dieser sich genauer wahrnimmt und die Wahrnehmungen des Lehrers nutzen kann.
Während der Behandlung stellt sich der Feldenkrais-Lehrer Fragen wie: Zu welcher körperlichen Veränderung ist der Schüler bereit? Wo kann ihm unnötige Muskelarbeit abgenommen werden? Welche Beziehungen zwischen Bewegungen und Körperteilen können für das Nervensystem des Schülers von Bedeutung sein? Welche Bewegungen können ihm angeboten werden, die seinem aktiven Bewegungsrepertoire sonst nicht zur Verfügung stehen, aber organischer und der Bewegungsevolution angemessener sind? Welche Körperteile wollen stärker wahrgenommen und in Bewegungsabläufe integriert werden? Was bedeutet eine harmonisch ausgeführte elementare Bewegung wie etwa die Aufrichtung für zentrale und periphere Körperregionen und ihre Korrespondenz miteinander? Wodurch unterscheidet sich eine proportionale Beteiligung des ganzen Körpers vom Ist-Zustand des Bewegungsbildes?
Das Ergebnis ist eine besser „integrierte“ Person. „Integriert“ heißt in diesem Fall, dass die Bewegung oder Handlung mit dem ganzen Selbst ausgeführt wird. Zumeist behindern nämlich unbewusste und mit inneren Störungen verbundene „parasitäre Bewegungen“ den eigentlich beabsichtigten Handlungsablauf. Zum Beispiel ist das Rückbeugen des Kopfes beim Aufstehen aus einer Sitzhaltung mit der „Angst“ verbunden, nicht hochzukommen. Integrierte Bewegungen hingegen wirken nicht eingefroren oder festgehalten, sondern durchlaufen den Körper. Die Muskulatur wird lediglich im Verhältnis zur Muskelmasse eingesetzt, arbeitet mit geringerem Aufwand als gewöhnlich, dient funktional der Umstellung des Skeletts im Raum und ist so durchlässig, dass der Boden als Widerstand genutzt werden kann. Personen mit besserer Bewegungsintegration wirken insgesamt geschlossen und in sich ruhend, aber dennoch wach und lebendig.

Moshé Feldenkrais und Heinrich Jacoby

1950 trafen der damals 46-jährige Physiker Moshé Feldenkrais und der 61-jährige Pädagoge Heinrich Jacoby in Zürich zusammen, wo Jacoby seit seiner Flucht vor Nazi-Deutschland, 1933, lebte. Diese „historische Begegnung“ verdient besonderes Interesse, weil sich hier zwei Männer begegneten, die die abendländische Tradition von Selbsterziehungskonzepten um zwei äußerst originelle, moderne und bedeutende Entwürfe bereichert haben. Beide forderten eine menschliche Selbst- und Verhaltenserziehung unter bewusster Einbeziehung von Körperlichkeit. Beide sahen die Basis dafür in der psycho-physischen Beschaffenheit des Menschen. Für Jacoby bedeutete „Selbstumerziehung“  die menschliche Nachentfaltung der biologisch angelegten Möglichkeiten. Für Feldenkrais beruhte „Umerziehung“, „re-education“, auf der „biologischen, um nicht zu sagen: physiologischen Notwendigkeit“ menschlichen Lernens.

Seit längerem sind uns Äußerungen von Feldenkrais über diese Begegnung bekannt. Zwischenzeitlich wurden aber auch Dokumente aus dem Nachlass von Heinrich Jacoby zugänglich, die Hinweise auf seine Sicht- und Erlebensweise dieser Begegnung bergen. An dieser Begegnung lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Arbeit von Heinrich Jacoby und Elsa Gindler einerseits und der Feldenkrais-Methode andererseits aufspüren und festmachen.

Vorgeschichte, Hintergründe, Darstellung der Begegnung und ihre Wirkungen sind dargestellt in:

Klinkenberg, N.: Moshé Feldenkrais und Heinrich Jacoby – eine Begegnung. Schriftenreihe der Heinrich Jacoby / Elsa Gindler-Stiftung 1, Berlin 2002

Literatur

Feldenkrais, M. (1978) Bewusstheit durch Bewegung. Der aufrechte Gang. Suhrkamp, Frankfurt/Main

Feldenkrais, M. (1981) Abenteuer im Dschungel des Gehirns. Der Fall Doris. Suhrkamp, Frankfurt/Main

Feldenkrais, M. (1987) Die Entdeckung des Selbstverständlichen. Suhrkamp, Frankfurt/Main

Feldenkrais, M. (1991) Das starke Selbst. Anleitung zur Spontaneität. Insel, Frankfurt/Main (3. Auflage)

Feldenkrais, M. (1994) Der Weg zum reifen Selbst. Phänomene menschlichen Verhaltens. Junfermann, Paderborn

Ives J C & Shelley G A (1998) „The Feldenkrais Method in Rehabilitation: A Review”. Journal of Prevention, Assessment and Rehabilitation, 11, Seite 75 - 90

Klinkenberg, N. (2002) „Grundzüge einer Körperverhaltenstherapie“. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 59, Seite 164-170.

Klinkenberg, N. (2002) Moshé Feldenkrais und Heinrich Jacoby – eine Begegnung. Schriftenreihe der Heinrich Jacoby / Elsa Gindler-Stiftung 1, Berlin

Klinkenberg, N. (2005) Feldenkrais-Pädagogik und Körperverhaltenstherapie. von Loeper, Karlsruhe 2005

Klinkenberg, N. (2006) „Die Feldenkrais-Methode in der körperverhaltenstherapeutischen Arbeit“. Psychotherapie im Dialog, 7. Jg., Seite 175-179

Klinkenberg, N. (2007) Feldenkrais-Methode. In: Dahlke, R. (Hrsg.) Rüdiger Dahlkes Großes Buch der ganzheitlichen Therapien. Randomhouse

Schmidt J. (1996) „Gutachten zum Stand des Nachweises der Wirksamkeit der Feldenkrais-Methode“. In: Bühring, M. und Kemper F. H. (Hrsg.): Naturheilverfahren und unkonventionelle medizinische Richtungen. Folgelieferung. Springer, Berlin-Heidelberg-New York

Elsa Gindler und Heinrich Jacoby© Ruth Matter Stiftung

Elsa Gindler und Heinrich Jacoby

© Ruth Matter Stiftung

Jacoby-Gindler-Arbeit

Elsa Gindler und Heinrich Jacoby sind wissenschaftsgeschichtlich betrachtet von großer Bedeutung für die Entwicklung körperbezogener Psychotherapieansätze gewesen, indem sie als Erste einen ganzheitlichen verhaltensbezogenen Perspektivwechsel von „Körperarbeit“ entwickelt und begründet haben.

Ihre Arbeit stellt darüber hinaus ein Modell für Körperverhaltenstherapie und für therapeutische Achtsamkeitskonzepte eine wesentliche Orientierungshilfe dar.

Elsa Gindler© Ruth Matter Stiftung

Elsa Gindler

© Ruth Matter Stiftung

Elsa Gindler (1885-1961)

kann mit einer gewissen Berechtigung „als Großmutter der somatischen Psychotherapie“ (Weaver 2006) bezeichnet werden. Elsa Gindler war Forscherin und Pädagogin. Sie studierte zunächst „Harmonische Gymnastik“ bei Hedwig Kallmeyer (1881-1976) in Berlin und führte ab 1913 ein eigenes „Institut für harmonische Gymnastik“. Mit Berührungen zu den Atemlehrerinnen Clara Schlaffhorst (1863-1945) und Hedwig Andersen (1866-1957) und bis 1933 als 2. Vorsitzende des Deutschen Gymnastikbundes stand Elsa Gindler in der Tradition der deutschen Gymnastik- und Atemschulen vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Überraschend früh ging Elsa Gindler jedoch mit einer anderen Akzentsetzung in ihrer Arbeit wesentlich andere, eigene Wege als die auf „Schönheit und Gesundheit durch Gymnastik“ ausgerichteten Gymnastik- und Atemschulen. Sie stieß auf die Beziehungen zwischen physischen und psychischen Zuständen und entwickelte ihre Arbeit weg von gymnastischen Übungen zu einer experimentellen Forschungsarbeit psychosomatischer Zusammenhänge und eigener Entwicklungsmöglichkeiten. Als Ziel ihrer Erziehungsarbeit definierte sie wenig später, „den Menschen für eine Verhaltensweise zu interessieren, durch die seine Bewegungen und sein Organismus möglichst störungsfrei reagieren und funktionieren. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn die Arbeit sich nicht in isolierten Turn- oder Gymnastikstunden vollzieht, sondern unaufhörlich in all unseren täglichen Betätigungen versucht wird“ (Gindler 1931). 

Heinrich Jacoby in den 50er Jahren© Ruth Matter Stiftung

Heinrich Jacoby in den 50er Jahren

© Ruth Matter Stiftung

Heinrich Jacoby (1889-1964)

Ab Mitte der zwanziger Jahre kam es zu einer äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit Elsa Gindlers mit dem Verhaltensforscher und Pädagogen Heinrich Jacoby, der vor seiner Übersiedlung nach Berlin 1926 am Aufbau reformpädagogischer Schulversuche in Dresden-Hellerau beteiligt war. Zuvor hatte Jacoby als Kapellmeister unter Hans Pfitzner (1869-1949) in Straßburg Interesse für die Voraussetzungen musikalischer Leistung und schließlich menschlicher Leistungen überhaupt entwickelt. Auch hartnäckig erscheinende  Störungen entpuppten sich durch eine sinnvollere Art des Probierens als verhältnismäßig leicht überwindbar. Jacoby interessierte sich zunehmend für „schwierige Fälle“ angeblich unbegabter Schüler und begann mit „systematischen Untersuchungen über die funktionellen Grundlagen der musikalischen Ausdrucksfähigkeit, über die materiellen Phänomene, durch die lebendiges Musizieren sich von unlebendigem unterscheidet, und schließlich auch über die Ursachen und über die Behebbarkeit von Störungen in der allgemeinen Fähigkeit, sich zu äußern, überhaupt“.

Die Begegnung mit Elsa Gindler wertete Jacoby später rückblickend als „die einzige wirkliche Förderung für die praktische Weiterentwicklung meiner Arbeit“. Denn die Arbeitsweise Elsa Gindlers erlaubte „die Gewinnung einer bewussten Beziehung zum eigenen Körper als dem Instrument, in dem sich alle Zustandsänderungen abspielen“ (Jacoby 1994).

Elsa Gindler mit Ruth Matter© Ruth Matter Stiftung

Elsa Gindler mit Ruth Matter

© Ruth Matter Stiftung

Auswirkungen der Jacoby-Gindler Arbeit

Ihre praktische Arbeit mit tausenden Menschen unterschiedlicher Herkunft und Berufe verstanden Gindler und Jacoby als eine allgemeinmenschlich notwendige „Selbstumerziehung“ und persönliche Entwicklungsarbeit ohne primäre pädagogische oder therapeutische Zielsetzung. Allerdings war die pädagogische und therapeutische Wirkung ihrer Arbeit nicht zu übersehen. Auf zahlreiche Künstler, Musiker, Tänzer, Bildschaffende, Pädagogen, Ärzte und Psychotherapeuten übten Elsa Gindler und Heinrich Jacoby entweder direkt oder indirekt über die Teilnehmerinnen an ihrer Arbeit Einfluß aus: so auf die Psychotherapeuten Otto Fenichel, Wilhelm Reich, Erich Fromm, Fritz Perls oder die Schöpfer eigener körper- und/oder psychotherapeutischer Methoden und Ansätze, wie Moshé Feldenkrais (Klinkenberg 2002), Helmuth Stolze, Charlotte Selver, Hilarion Petzold, George Downing oder Ruth Cohn.

Dass diese Einflüsse erst im historischen Abstand bewusster werden, liegt nicht zuletzt an der besonderen Auffassung Elsa Gindlers und Heinrich Jacobys, dass sich ihre Arbeit gegen jede Methodisierung, Schulenbildung, Verzweckung, ja sogar gegen eine Namensgebung zu sperren habe. Folgerichtig hatte Elsa Gindler bereits Mitte der 20er Jahre die Ausbildung von Lehrerinnen aufgegeben und sprach sich mehrfach dagegen aus, dass Teilnehmer an ihren Kursen in dieser Arbeit ausbildeten. Man traf sich auch nicht zu einer Unterrichtung oder zu Übungen, sondern in Arbeitsgemeinschaften.

Adressen

Die gemeinnützige Heinrich-Jacoby/Elsa-Gindler-Stiftung mit Sitz in Berlin wurde 1985 von Sophie Ludwig gegründet. Sie dient dem Zweck, die Nachlässe von Heinrich Jacoby, Elsa Gindler und ihrer langjährigen Mitarbeiterin Sophie Ludwig zu verwalten, Dokumente und Ergebnisse ihrer Arbeit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die praktische wie wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihr zu fördern.

Unter der Adresse der Stiftung befinden sich ein Archiv, in dem die Nachlässe aufbewahrt sind, ein Büro und Räume, in denen neben praktischer Arbeit auch Vorträge, Ausstellungen, künstlerische Veranstaltungen und Gespräche stattfinden können. Die Räume stehen Arbeitsgemeinschaften für Einführungs- und weiterführende Kurse zur Verfügung. www.jgstiftung.de

Ein Arbeitskreis in der Schweiz bietet Informationen unter www.jacobygindler.ch

Weitere Links unter http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Jacoby / http://de.wikipedia.org/wiki/Elsa_Gindler

Heinrich Jacoby 1946 in Zürich© Ruth Matter Stiftung

Heinrich Jacoby 1946 in Zürich

© Ruth Matter Stiftung

Literatur

Arps-Aubert, E. von: Das Arbeitskonzept von Elsa Gindler (1885-1961) dargestellt im Rahmen der Gymnastik der Reformpädagogik. Hamburg: Kovac, korr. Nachdruck 2012.

Haag, M. & Rohloff, B. (Hrsg.) (2006) Arbeiten bei Elsa Gindler. Notizen Elsa Gindlers und Berichte einer Teilnehmerin. Schriftenreihe der Heinrich Jacoby-Elsa Gindler-Stifitung 2/3, Berlin.

Jacoby H. (1989) Erziehen - Unterrichten - Erarbeiten. Hamburg: Christians.

Jacoby H. (2004) Jenseits von "Begabt" und "Unbegabt", Zweckmäßige Fragestellung und zweckmäßiges Verhalten - Schlüssel für die Entfaltung des Menschen. Kursdokumente. 6. durchgesehene Aufl., Hamburg: Christians.

Klinkenberg, N. (2002) Moshé Feldenkrais und Heinrich Jacoby - eine Begegnung. Schriftenreihe der Heinrich Jacoby - Elsa Gindler-Stiftung 1, Berlin.

Klinkenberg, N. (2007) Achtsamkeit in der Körperverhaltenstherapie. Ein Arbeitsbuch mit 20 Probiersituationen aus der Jacoby/Gindler-Arbeit. Stuttgart: Klett-Cotta.

Ludwig, S. (2002) Elsa Gindler – von ihrem Leben und Wirken. „Wahrnehmen, was wir empfinden“, bearb. von M. Haag, Hamburg: Christians.

Neubauer, I.: Zur Praxis der Arbeitsgemeinschaft Heinrich Jacobys. Hamburg: Kovac 2010.

Die Konzentrative Entspannung (KoE) nach Wilda-Kiesel

Dehnlagerung "Halbmond" / Kleine Gruppe in Rückenlage (Fotos: AOK-intern 2011)

Dehnlagerung "Halbmond" / Kleine Gruppe in Rückenlage (Fotos: AOK-intern 2011)

Die KoE zählt wie die Progressive Relaxation (PMR) und das Autogene Training (AT) zu den übenden Entspannungsverfahren. Sie ist erlernbar unter fachlicher Anleitung in 6-10 Unterrichtseinheiten als Gruppenverfahren der Primärprävention und störungsspezifisch integrierbar in Therapiekonzepte der psychosozialen Medizin. 
Die KoE orientiert auf bewusste Körperwahrnehmung anhand einfacher Empfindungen zu Körperauflagen, Abständen zum Boden, zum Raum und zu erlebbaren Veränderungen im Prozess des Erlernens der KoE durch übendes Wiederholen und verbal verdeutlichtes Vergleichen. Sätze zum selbständigen Umgang mit der KoE als individuelles „Lernergebnis“ richten sich mit individuellen Formulierungen in „Ich-Form“ an sich selbst. Die KoE spricht Achtsamkeit und Aufmerksamkeit an und ergibt eine einfache Struktur zur Selbstfürsorge.  

"Gelöster Sitz" - (Foto AOK-intern 2011)

"Gelöster Sitz" - (Foto AOK-intern 2011)

Geschichte

In dem Ergebnis einer strukturierten Selbstfürsorge lassen sich die historischen Wurzeln der Gindlerschen Arbeit wiedererkennen, welche mit ihrer Forderung: „Werden Sie erfahrbereit“ das eigenständige Probieren und Finden hervorhebt, das auch die KoE kennzeichnet. Anita Wilda-Kiesel war als Physiotherapeutin in einem stationären, psychosozial ausgerichteten Setting der Universitätsklinik Leipzig tätig. In den sechziger Jahren integrierte sie in ihre eigene berufliche Arbeit Erfahrungen mit der Jacoby-Gindlerschen Arbeit, mit der Konzentrativen Bewegungstherapie von Helmuth Stolze, der funktionellen Entspannung von Marianne Fuchs und östlichen Körpertherapeuten, wie Hana Junova, Katharina Knauth u.a. Die KoE bewährte sich in der DDR durch die Verbindung zur ärztlichen Psychotherapie und körpertherapeutischen Weiterbildung seit 1970, wo es seitdem eine staatlich anerkannte Weiterbildung zum Fachphysiotherapeuten für den psychosozialen Bereich gab und in Sachsen seit 2007 wieder gibt.

Holzkugel und Materialien zum Ertasten (Fotos: AOK-intern 2011)

Holzkugel und Materialien zum Ertasten (Fotos: AOK-intern 2011)

Literatur

Böttcher, B. und K. Haenchen: Erfahrungen mit Konzentrativer Entspannung in der Ambulanz eines Landkreises, Zeitschr. Orthopädie und Traumatologie 26 (1979), Heft 4, S. 217-220

Böttcher, B.: Die Konzentrative Entspannung – ein integratives Relaxationsverfahren in der Physiotherapie, Zeitschr. Krankengymnastik Heft 12/1998, S. 41-46, Verlag Richard Pflaum, München

Böttcher , B. in: Geschichte der Psychotherapie in Ostdeutschland (M. Geyer Hrsg.), Geschichte der Konzentrativen Entspannung S. 551 ff., 685. 799ff., 889, Verlag Vandenhoeck &Ruprecht 2011

Böttcher, B. und A. Wilda-Kiesel: Zum Gedenken Helmuth Stolze, Zeitschr. Krankengymnastik, Heft 4/2005, S. 708 und in „KBT auf dem Weg“ (Gedenkschrift für Helmuth Stolze, Hrsg. Barbara Purschke – Heinz u. Renate Schwarze)

Böttcher, B. und A. Wenzel (AOKPLUS): Manual Konzentrative Entspannung (AOK-Intern, 2011)

Röhrborn, H., Böttcher, B. und J. Letzel: Fachphysiotherapeut für psychosoziale Medizin - ein neues Berufsbild im Bereich der Psychofächer, Zeitschr. Ärztliche Psychotherapie 4/2010, S. 252-254, Verlag Schattauer

Wilda – Kiesel, Anita: Die Konzentrative Entspannung, Verlag LAU-Ausbildungssysteme GmbH, 3. Aufl. Reinbek 1993

 Yoga

Yoga ist, wenn der Geist zur Ruhe kommt – so steht es am Anfang von Pantanjali’s Yoga-Sutra. Wir können Yoga verstehen als das Bemühen, die Bewegungen des eigenen Geistes zu kontrollieren, um dadurch inneren Frieden zu finden.Auch wenn dies ein hohes und fernes Ziel darstellt, sollten wir es immer im Hinterkopf haben. Die Körperübungen bzw. der Weg des Hatha-Yoga – ebenso der vielen anderen Yoga-Wege (Bhakti-, Karma-, Jnana-Yoga etc.) – dienen diesem einen Ziel. Mit Hilfe der Yoga-Stellungen (Asanas) möchte der Yogi durchaus auch seine Gesundheit verbessern, vor allem aber sollen sie helfen, den Geist zu verändern. Doch wie soll das gehen bzw. wie können wir uns das vorstellen? Die alten Schriften verweisen an dieser Stelle auf eine subtile Energie (Prana), die durch die Asanas zu einem freien Fluss im Körper angeregt werden soll. Und der sorgt dann für alles Weitere. Es gibt viele Sichtweisen, Schulen und Traditionen des Yoga. Fragt man danach, wie Körperverhaltenstherapie vom Hatha-Yoga profitieren kann, empfiehlt es sich, die „Arbeit am Geist“ als ein Streben nach mehr Bewusstheit auffassen, so, wie das einige andere Formen verhaltensbezogener Körperarbeit (z.B. Feldenkrais, Jacoby-Gindler-Arbeit oder achtsamkeitsbasierte Therapien) auch tun.

Yoga und Körperverhalten

Um die Bewusstheit zu schulen, suchen wir „probeweise“ nach Anregungen für die eigene Wahrnehmung. Das Einnehmen einer typischen Yoga-Stellung sorgt in diesem Sinn für einen neuen und körperlich etwas ungewöhnlichen Bezugsrahmen der eigenen Wahrnehmung – neue Impulse machen die Sache interessant: Dadurch, dass man beispielsweise im Sitzen den Oberkörper zur Seite dreht und die Beine dabei seltsam verschränkt, kann man bestimmte Körperregionen plötzlich viel deutlicher spüren. Während man in dieser seltsamen Stellung verweilt (dieses ruhige Verweilen in der Stellung ist ein zentrales Kennzeichen des Hatha-Yoga), hat man Gelegenheit zu beobachten und zu spüren: Wie wirkt sich das auf die Atembewegung in meinem Brustkorb aus? Gibt es einen Unterschied zwischen linker und rechter Seite? Kann ich jetzt vielleicht irgendwelche Wirbel oder Rippen spüren, die ich sonst nicht wahrnehme? Wie wirkt sich diese Stellung auf die Atembewegung in meinem Bauch aus? Wo gibt es jetzt die meiste (Atem)Bewegung? etc.

Etwas vereinfacht könnte man sagen, eine Yoga-Stellung schafft für einige Zeit eine neue (körperliche) Situation, die es interessant und damit auch leicht macht, sich selbst zu beobachten, zu spüren und wahrzunehmen.

Literatur

Mitzinger, D: Yoga in Prävention und Therapie. Manual für Yogalehrer, Therapeuten und Trainer. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag 2008.

Woznica, M: Yoga und Feldenkrais 1. Petersberg: Via Nova 2005.

Woznica, M: Yoga und Feldenkrais 2. Petersberg: Via Nova 2006.

Erfahrungen in der Körperverhaltenstherapie

Schreiben Sie selber Ihren Beitrag an mail@koerperverhaltenstherapie.de

"Meine Lebensreise bewegt sich gerade in eher gemäßigten Gewässern mit wenig an Strudeln....... doch wie immer wohnen auch die Krokodile im Lebensfluss und es gibt Klippen darin. Ich bin mittlerweile geübter darin geworden, mein Schiff zu steuern, Klippen zu umschiffen  und mich den Krokodilen zuzuwenden. Und: ich habe weiterhin wirklich fürsorglich und sorgsam auf mich und meine Grenzen zu achten, denn sonst bekomme ich ziemlich prompt (seelische) "nasse Füsse" im Randgebiet des Seelen-Sumpfes.
Dabei sind mir das Achtsamkeits-Probieren (und auch die Feldenkraisfragen) immer wieder hilfreiche Weggefährten, auch darin, meine eigenen Muster und Gewohnheiten immer besser zu spüren und aufzuspüren. Ich bin sehr dankbar dafür, diese Möglichkeiten für mich zu kennen und pflegen zu können. Ich weiß nicht, ob sie ohne meine Krise jemals in mein "Reisegepäck" hineingekommen wären. In jedem Fall wäre das zu einem  deutlich späteren Zeitpunkt gewesen." (A.D.)

"Der Achtsamkeitskurs ist für mich immer wieder etwas, woran ich mich im Alltag erinnere, damit es mir wohler wird, wenn es um mich herum turbulent zugeht und andere meinen, an mir zerren zu müssen. Die Arbeitswelt überschlägt sich zur Zeit um mich herum wieder mit Veränderungen, nach bereits ständigen Veränderungen. Da heißt es achtsam und wachsam in der eigenen Mitte zu bleiben.
Außerdem habe ich 2 über 80jährige Elternteile, sowie 2 über 80jährige Schwiegereltern, die alle kränklich sind. Hier sind mein Mann und ich am Versorgen und Organisieren, dass der Tagesablauf geregelt ist. Durch die Parkinsonerkrankung helfen wir abends meinem Vater ins Bett. Durch heben meines Vater's hat sich mein Mann vor Wochen einen Bandscheibenvorfall zugezogen. Ich hebe meinen Vater nicht, sondern "leite" ihn durch sanfte Berührung mit Hilfe des Bodens und der Schwerkraft und seiner Mithilfe ins Bett. Selbst daraus mache ich eine Probiersituation, um Leichtigkeit rein zu bringen. Es hat mich begeistert. Das war jetzt eine kleine Erfahrung." (A.S.)

"Wo würde ich denn stehen, wenn sich mir die Chance der Achtsamkeit nicht geboten hätte? - Ich kann mir das nicht vorstellen. - Hier und da ein paar Minuten mit Qualität machen schon einen riesigen Unterschied zum gewohnten Vor-Sich-Hinleben und Verloren-Sein im Alltag. Dennoch bleibt es schwierig, zumindest gelegentlich zu den seltenen Momenten des bewussten Wahrnehmens zurückzukehren; tausend Gedanken und Dinge scheinen es nur darauf abgesehen zu haben, mich davon abzuhalten. Achtsamkeit, einmal erlebt, ist nicht mehr wegzudenken, und schwer zu vermitteln an diejenigen, die nach bestimmten Übungen oder Vorgaben suchen, anstatt sich selbst auf eine Entdeckungsreise zu begeben. Ein herzliches Dankeschön an alle, die sich dem Vermitteln der Achtsamkeit widmen und damit das Leben anderer - mich inbegriffen - bereichern." (B.B.)

"Zum achtsamen Verhalten finde ich den körperlichen Zugang oft durch das bewusste Er-leben mitunter ganz einfacher Körper-Übungen, die ich weniger streng, eher spielerisch, auch durch rein gedankliche oder minimalistische Bewegungen ausführe. Mehr und mehr gelingt dies mir auch integrativ, d.h. schon unbewusst - fortdauernd." (S.E.)

“Ich habe natürlich mein Versprechen eine Erfahrung für die Körperverhaltenstherapieseite aufzuschreiben nicht vergessen. Aber es fällt mir einfach(!) schwer im Moment meine Gedanken zu formulieren. Vielleicht weil ich mich und mein Leben aktuell so "unspektakulär" erlebe; immer klarer bin auch in äußerst unklaren beruflichen Gemengelagen; immer weniger emotionale Ausbrüche inszenieren muss, die mir eine Pseudo-Wichtigkeit geben - auch vor mir selbst; immer noch achtsamer wahrnehmen kann, welche Wirkung Außenreize/Menschen/Situationen auf mich haben und immer wieder rechtzeitig und gut für mich sorge und nicht mehr in jedes Loch falle, das sich auf meinem Weg auftut; und wenn ich hineinfalle mich nicht selbst noch weiter geißeln muss, dass ich hineingefallen bin; mir selbst immer klarer werde, inwieweit ich bereit bin mich (nicht mehr) zu verausgaben und mutiger werde eventuell entsprechende Konsequenzen zu tragen -meine aktuellen 100% sind bei weitem nicht mehr diejenigen 100%, die ich noch vor 2 Jahren als Maßstab hatte :-) Ich habe mich in den letzten Monaten, auch nach meinem letzten Besuch im Januar in B-B, noch besser kennengelernt und neue Facetten an mir entdeckt: ich habe keine Lust mehr immer so schnell zu sein, ich fühle mich nicht mehr "automatisch" für das Heil der Welt und insbesondere das Funktionieren meines Amtes zuständig, es gefällt mir mir selbst etwas Gutes zu tun (Reiten lernen, orientalisch tanzen, wenig Fernsehen, Stille). Kurz gesagt, ich bin ganz gut in Kontakt mit mir - obwohl es außen herum relativ hektisch zugeht - und es fällt mir ziemlich leicht und ich bin überzeugt davon, dass ich mich ohne Ihre Unterstützung und ohne Ihre Impulse -wenn überhaupt- nur nach weiterem Leiden auf diesen Weg mit mir und zu mir gemacht hätte. Und das beste ist: der Weg ist (hoffentlich) noch lange nicht zu Ende. Und immer noch gilt jeden Tag mindestens ein Gedanke der Masse, der Schwerkraft und meinem Wohlergehen, das damit hoffentlich auch auf meine Umgebung wirkt.” (A.T.)

“Ich leide z.Z. akut unter heftigen Schmerzzuständen mit starken Muskelverspannungen im Rücken bis hin zu geschwollenen Hand-, Fuß-, Finger-, Kniegelenken, die in jeder Bewegung schmerzen und eingeschränkt sind. Der Brustkorb schmerzt bei tiefen Atemzügen und ist in seinem Atemvolumen nur bis zu einem Drittel seines normalen Vermögens dehnbar. Die Atmung ist flach und findet nur zwischen Zwerchfell und Schlüsselbein statt. Dies hat zur Folge, dass sich die Verspannungen weiter manifestieren, die Gelenke sich stauen. Durch die Probiersituationen aus den Achtsamkeitskursen gelingt es mir, mich dem Boden und der Schwerkraft anzuvertrauen. Die spürbare Erfahrung, getragen zu sein (ich muss nichts halten, alles geht ganz leicht) hat zur Folge, dass von bestimmten Muskelbereichen die Spannung abfällt, der Körper sich leicht und durchlässig anfühlt. Die unmittelbaren Auswirkungen auf die Atmung sind direkt beobachtbar: der Brustkorb dehnt sich weit. Ich bemerke, wie die Atmung wieder fließen kann bis hin zu den Knie- und Fußgelenken. Die spürbare körperliche Erholung, die sich für mich ergibt, ist eine Wohltat, nicht nur für meinen Körper, sondern auch für meine Seele und meinen Geist. Denn die Gefühle und Gedanken können sich lösen von starren Mustern und kommen buchstäblich "ins Atmen". Auf einmal erscheint die ganze Krankheitssituation unter einem anderen Licht und Hoffnung auf Gesundung tritt ein.” (A.D.)

“Gerne erinnere ich mich an diesen Kurs! Seither verbinde ich meine Feldenkrais-Arbeit mit der Achtsamkeit der Gindler-Arbeit. Ich selbst lege mich gelegentlich nicht nur zu ATMs auf den Boden, sondern auch zum achtsamen Aufstellen eines Beines. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell ich dabei zur Ruhe und zu mir selbst komme!Ich habe auch bisher zwei Mal mit der Musik experimentiert. Überraschenderweise wirkte das Stück auf mich beim zweiten Hören anders! Ich war auf die Dissonanzen und Brüche eingestellt und es gab weniger Widerstände in mir. Außerdem stellte sich mehr Neugierde ein, die Fassetten des Musikstücks zu entdecken. Ich freue mich schon sehr auf auf den nächsten Achtsamkeitskurs, der für Ende April von Ihnen angekündigt wird. Ich möchte gerne daran teilnehmen!" (L.S.)

"Ja, es geht wirklich leichter, einfacher, durch Verlagerung meines Gewichtes, durch Abgeben meines Gewichtes, durch langsames Aufbauen meiner Statik, Stein für Stein, nein Wirbel für Wirbel, bis ich im Gleichgewicht bin bzw. stehe. Es funktioniert!" (N.W.)

"Erstes Erleben war: überraschend, beruhigend, gab mir maximal gespürte Entspannung, hat mich tief berührt, gab mir inneren Frieden" (A.U.)

"Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl, mich zu spüren!" (D.L.)

"Es war das erste Mal, dass ich bei dem Versuch, den Hocker anzuheben, das Gefühl hatte, als würde es in meinen Füßen magnetisieren. Eine so klare Beziehung zur Schwerkraft hatte ich noch nie. Ich konnte den Hocker spürbar leicht anheben" (A.R.)

„Zen und Achtsamkeit haben für mich viel gemeinsam. Beide treffen sich u.a. bei ihrem ganzheitlichen und humanistischen Ansatz. Es geht dabei in erster Linie bei beiden nicht darum, den Übenden/Patienten mit Theorie zu versorgen, sondern ihn von Anfang an mit der Ausführung/der Praxis vertraut zu machen. ((...)) Selbstwesenschau ist ein zentraler Begriff im Zen – sich erleben / erfahren, wie man wirklich ist. Über das zur Ruhe kommen, die Sitzhaltung, die Beobachtung des Atems, die Entwicklung von Konzentration und Entspannung, die Aufmerksamkeit, die wir unseren inneren Vorgängen entgegenbringen, das Loslassen und Nichtdenken (Denken des Nichtdenkens), die besonderen Anleitungen für Gehen, Stehen und Liegen, die Regeln für den Ablauf der Lektionen führen zur Begegnung mit sich. Der Übende lernt zu sehen, zu fühlen und Erwartungshaltungen abzubauen (zumindest am Übungsplatz), um dem reinen Empfinden möglichst wenig entgegenzustellen oder beizumischen“ (T.G.)

„Heute und in der letzten Achtsamkeit((sgruppe)) hatte ich das Gefühl, mein Körper braucht viel mehr Zeit zwischen den Aufgaben, um auf das Probierte zu reagieren. Heute habe ich versucht, mir mehr Zeit zu lassen, und einfach weniger gemacht. Ich habe z.B. bei der Aufgabe mit dem Tennisball probiert, anzuhalten, innezuhalten, zurück zu gehen und erneut zu probieren“ (A.R.)

„Ich kam in der Klinik an mit starken, ständigen Rückenschmerzen. In der Achtsamkeitsgruppe gelang es mir zuerst nicht, meine Lendenwirbelsäule zu beugen. Wenn ich nun stehe und den Boden sehr sicher unter mir fühle, schaffe ich diese Bewegung ohne Anstrengung. Ich bin fast schmerzlos und ich fühle mich sicher. In Angstphasen verliere ich den Boden unter den Füßen. Ich gewinne nun Vertrauen in mich selbst. Mein Körper und ich bilden wieder eine Einheit. Ich habe hier in der Klinik nicht mehr das Gefühl, neben mir zu stehen und mich nicht zu erkennen“ (A.N.)

"Diese Selbst-Körpererfahrung möchte ich nicht vermissen. Ich habe wieder Vertrauen (hatte ich es jemals??) in meinen Körper. Das Fallenlassen unter Ausnutzung der Schwerkraft erzeugt bei mir Euphorie, Ruhe und Gelassenheit. Ich kann mir diesen Zustand, sooft ich will, zurückholen. Ich bin schmerzfrei geworden, selbst nach der unangenehmen 'Nudelholzsitzung'. Ohne Schmerzen zu sein, ist ein neues Lebensgefühl.
Die Füße: es ist eine Lust zu gehen. Ich probiere es aus in einer Ladenstraße, halte inne, atme durch und schreite weiter. Mit diesem neuen Bewusstsein zu leben, wird sich meine Lebenswelt verändern...." (A.K.)

„Ich bin 53 Jahre alt und war der Meinung, mein Leben meisterhaft im Griff zu haben. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich kurz hintereinander von zwei Hörstürzen überrascht wurde. ... Wie armselig meine Wünsche waren, erfahre ich nach und nach. Ich war zunächst gar nicht in der Lage, meine Empfindungen, Gründe der Erkrankung oder eigene Bedürfnisse zu benennen. Ich hatte das Gefühl, mich vergessen zu haben. Plötzlich konnte ich weinen. Ich war verwundert und beschämt über diese Gefühlsregung. ((...)) Die Tränen liefen dann, wenn ich ganz nah bei mir war, z.B. beim meditativen Malen, in der Feldenkraisstunde und in der Achtsamkeitsgruppe. Es waren anfangs Tränen der Traurigkeit, der Verbissenheit, weil etwas nicht klappte wie gewohnt, aber zunehmend Tränen der Freude, darüber mit so wenig viel zu erreichen. Herausfinden, was mir gut tut! Mir darf wohl sein!! Dieser Satz aus der Achtsamkeitsgruppe hatte eine große Wirkung auf mich. Es purzelten viele Ereignisse aus meinem Leben durcheinander. Ich fing an, mein bisheriges Leben nach Themen zu ordnen und sie zu beleuchten.... Ich fange an, die stillen Stunden zu genießen. Ich spüre manchmal ein Gleichgewicht in mir. Dies rührt mich sehr an. Ich spüre Veränderungen in der Lendengegend, eine Leichtigkeit... Ich habe das Gefühl, meine Arme schwingen frei neben meinem Körper. Ich habe das Gefühl, hoch erhobenen Haupts zu gehen... Hier durfte ich das erste Mal über den Tod meines Vaters.... weinen.... Ich habe meine gescheiterte Ehe beleuchtet.... Ich habe in all den Jahren nach der Scheidung nie über die Möglichkeit einer neuen Partnerschaft nachgedacht. Hier durfte ich darüber weinen, reden und nachdenken. Ich kann mich nun neu orientieren, und ich kann mir durchaus vorstellen, mich auf eine neue Partnerschaft einzulassen, mich auf etwas zu freuen, das mir gut tut und das ich möchte. Ich darf glücklich sein. Hier beleuchtete ich meinen Arbeitsplatz.... Anfangs gab ich diesem System den größten ‚Schuldanteil’ an meinem Hörsturz. Inzwischen erkenne ich jedoch auch meine Anteile, die dazu beigetragen haben, in diese Situation zu geraten. Mein Perfektionismus, meine hohen Ansprüche, meine Angst vor Enttäuschung und Kränkungen oder dass ich vergessen habe, mich abzugrenzen, haben dazu geführt, dass ich nun einen Hörsturz bekam. Manchmal bin ich froh, dass der Hörsturz zu mir kam....“ (D.H.)

„Nun ist die ((angestrengte Arbeitsphase)) rum, alle sind ein wenig geschlaucht, nicht zuletzt von der Sommerhitze, und ein paar Tage Ausschlafen werde ich schon brauchen. Leere Akkus bedeuten aber nicht gleichzeitig ein Ausgezehrtsein. Es geht mir hervorragend, ich komme seit Monaten aus dem Staunen über mich nicht wirklich heraus. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich so viel so dauerhaft und dabei so mühelos leisten kann. Ich bin baff, wann immer mir auffällt, wie locker ich bleiben kann trotz Hektik und Zeitdruck. Oder wie ich lockerlassen kann, wenn ich mit meinem (immer noch vorhandenen) Drang, zu viel zu tun, mich mit allzu viel Kraft und allzu viel Spannung irgendeiner Tätigkeit widme. Es kann auch angestrengtes Sitzen sein. Ach, mir fällt so vieles auf, unendlich positiv und oft auch noch negativ, so dass ich Tag für Tag einen kleinen Schritt gehe in Richtung, mehr zu tun, was mir gut tut und mehr zu lassen, was mir eher schadet in diesem Moment. Manchmal gehe ich auch einen oder zwei Schritte zurück. Und das gehört für mich auch dazu“ (E.N.)

Veränderungen meines konkreten Verhaltens aus der Begegnung mit der Jacoby/Gindler-Arbeit: 1. Das Fernsehgerät wurde aus dem Schlafzimmer verbannt. 2. Seit fast einem Jahr schlafe ich auf Filzmatten... 3. seit einigen Monaten den bequemen Bürosessel mit einem Hocker getauscht… 4. Ich achte zunehmend darauf, eine Sonnenbrille im Auto mitzuführen... 5. Generell erlebe ich mich in zunehmendem Maße achtsam gegenüber meinem Körpergefühl… Die Botschaft, die sich mir tief eingeprägt hat ist, dass ‚es nichts gibt, was nichts mit mir macht’. Hätte ich diesen Grundsatz bereits früher gekannt und mich mein Leben lang dem entsprechend verhalten, bin ich überzeugt, meine jetzigen Probleme nicht zu kennen. Die Vorstellung, dass der drückende Rucksack, das stundenlange schiefe Sitzen beim Autofahren oder auch die Distanziertheit meiner Eltern mir gegenüber nichts machen, ist nach meiner jetzigen Erkenntnis töricht. Wesentlich ist hier die Differenzierung in ‚Empfinden’ und ‚Wahrnehmen’. Alle diese Unannehmlichkeiten habe ich mein Leben lang empfunden, sie haben mich geprägt, verändert, krank gemacht; ich habe sie jedoch kaum oder gar nicht wahrgenommen. ... Die Forderung Elsa Gindlers, ‚wahrnehmen, was wir empfinden’, halte ich für eine der tiefgreifendsten, hilfreichsten Lehren überhaupt!“ (R.Z.)

„Ich glaube, dass ich heute etwas achtsamer durch das Leben gehe. Vor allem Wartezeiten und Bahnfahrten nutze ich zu Achtsamkeitsübungen.“ (N.T.)

Ich schneide Rosen und gehe mit jeweils 7 oder 8 gerade geschnittenen piksigen Zweigen zum Feuerplatz, um sie dort abzulegen.
 Kommt mein Mann und fragt: ‚Willst du nicht einen Korb haben? Dann kannst du die Zweige sammeln und hintereinander weg schneiden und musst nicht dauernd laufen.’
Ich: ‚ Nein, das tut mir gut, wenn ich zwischendurch immer ein paar Schritte gehe.’
Er: ‚Aber dann brauchst du doch so lange.’
Ich: ‚Warum sollte ich schneller sein?’
Er: ‚Dann bist du schneller fertig mit dem Rosen schneiden und kannst hinterher etwas machen, was dir Spaß macht.’
Ich: ‚Aber wenn mir das langsame Rosen Schneiden so schon Spaß macht, dann brauche ich doch hinterher nichts, das den mangelnden Spaß kompensiert.’
Er: ‚Aber das ist doch ineffektiv.’
Ich: ‚Warum soll ich effektiv sein?" (Was immer dabei Effektivität auch bedeutet!!)
Er: ‚Damit du dich nachmittags und abends mit gutem Gewissen ausruhen kannst von dem, was du gearbeitet hast.’
usw. usw. usw. ... Es versteht irgendwie keiner. Ich tue etwas von vornherein mit Genuss - auch wenn das ‚Pflichtarbeiten’ sind - und es sieht nicht so aus, wie wir uns in unserer westlichen Welt Effektivität vorstellen. Dass das mehr Sinn macht, auch wenn es länger dauert, als tausend Dinge hastig durcheinander zu tun, schnell und mit schmerzenden Gliedern. Die man dann hinterher ‚mit Wonne’ ausruhen soll. Dass der Wert an sich schon in dem liegen kann, was man tut - in dem, was eigentlich ‚Pflicht’ ist. Und dass es nicht so sein muss, dass Pflicht schnell, möglichst mit Unwohlsein verbunden, abgearbeitet werden muss, um sich dann hinterher davon auszuruhen. - Das ist so ein bisschen das, was ich meinte, als ich sagte, Achtsamkeit hat sich inzwischen in meinem Alltag etabliert. Es ist keine philosophische Kategorie oder nichts, was ich vorwiegend außerhalb meines normalen Lebens probiere. Dass ich das trotzdem hin und wieder tun kann, kommt noch dazu, so als add on.“ (D.R.)

Bücher

Norbert Klinkenberg - Moshé Feldenkrais und Heinrich Jacoby - eine Begegnung.

Schriftenreihe der Heinrich Jacoby - Elsa Gindler - Stiftung Bd. 1

Berlin 2002, ISBN 3-00-009762-7, 64 S.

€ 14,-

www.jgstiftung.de

Norbert Klinkenberg - Feldenkrais-Pädagogik und Körperverhaltenstherapie.

Karlsruhe: von Loeper 2005 244 S.

€ 22,90

www.vonloeper.de

Norbert Klinkenberg - Achtsamkeit in der Körperverhaltenstherapie.

Ein Arbeitsbuch mit 20 Probiersituationen aus der Jacoby/Gindler-Arbeit

Reihe Leben Lernen Bd. 197 Stuttgart: Klett-Cotta 2007 196 S. mit Audio-CD

€ 26,-

www.Klett-Cotta.de